1 Teil 1: Grundlagen des V-Modells

1.3 Managementmechanismen und Projektdurchführung

1.3.9 Qualitätssicherung, Produktzustandsmodell und inhaltliche Produktabhängigkeiten

Die Inhalte zur Qualitätssicherung regeln im V-Modell nicht nur die Prüfung der einzelnen Produkte, sondern sie umfassen auch die Festlegung der Qualitätsziele und die Planung und Steuerung der Qualität im Allgemeinen. Zur Erreichung der erforderlichen Qualität im Projekt treten drei Rollen besonders in den Vordergrund: der Projektleiter ist für die Erreichung aller Projektziele und damit auch Qualitätsziele verantwortlich. Für Letztere stellt ihm das V-Modell XT einen QS-Verantwortlichen (Rolle QS-Verantwortlicher) zur Seite, der alle Maßnahmen und alle Prüfungen der Qualitätssicherung koordiniert. Dies betrifft alle Aktivitäten bis auf solche, die die Qualität der Systemelemente sicherstellen. Die Vorbereitung und Durchführung der Tätigkeiten in diesem Bereich liegen in der Verantwortung der Architekten im Projektteam. Die Durchführung aller Prüfungen erfolgt durch die Rolle des Prüfers, die je nach zu bewertendem Produkt mit einem entsprechend qualifizierten Mitarbeiter besetzt wird.

Maßnahmen zur Qualitätssicherung unterteilt das V-Modell grundsätzlich in zwei Arten:

Während die konstruktiven Maßnahmen sehr individuell und spezifisch durch den QS-Verantwortlichen (Rolle QS-Verantwortlicher) und die Architekten definiert werden, gibt das V-Modell bei den analytischen Maßnahmen ein genaues Regelwerk vor, das sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

Wer ein Produkt fertig stellt, muss also darauf achten, die Regeln 2 und 3 nicht zu verletzen. Abbildung 18 zeigt einen Produktzustandsautomaten, der sich aufgrund dieser Regeln ergibt. Er definiert, dass der Bearbeiter eines Produkts das Produkt selbst erst entsprechend prüfen muss, bevor er es fertig stellen darf.

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Abbildung 18: Produktzustandsautomat (für Produkte ohne eigenständige Qualitätssicherung)

Abbildung 19 zeigt den Ablauf der Prüfung: Zunächst wird das Produkt für sich gesehen auf inhaltliche und formale Korrektheit geprüft, um Bedingung 2 zu gewährleisten. Verläuft dieser erste Prüfungsteil erfolgreich, wird das Produkt auf Konsistenz zu allen bereits fertig gestellten Produkten geprüft, um zusätzlich Bedingung 3 zu gewährleisten. Ein Produkt kann also nur fertig gestellt werden, wenn es keinem bereits fertig gestellten Produkt widerspricht. Unter Umständen führt diese Regelung dazu, dass ein bereits fertig gestelltes Produkt wieder in Bearbeitung genommen und angepasst werden muss, um ein anderes Produkt fertig zu stellen. Wer in solchen Fällen „Recht hat“, muss individuell entschieden werden. In jedem Fall muss der Bearbeiter des später fertig gestellten Produktes die Inkonsistenz erkennen.

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Abbildung 19: Ablauf einer Produktprüfung

Manche Produkte sind für den Projekterfolg so wichtig, dass eine reine Eigenprüfung nicht ausreicht. Bei diesen Produkten ist eine eigenständige Qualitätssicherung, also eine Prüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip erforderlich, um sie fertig zu stellen. Wie Abbildung 20 zeigt, durchlaufen solche Produkte neben den Zuständen in Bearbeitung und fertig gestellt noch einen dritten Zustand vorgelegt, in den der Bearbeiter das Produkt nach erfolgreicher Selbstprüfung überführt. Ein Prüfer erstellt dann auf Basis einer Prüfspezifikation ein Prüfprotokoll (siehe Disziplin Prüfung). Fällt das Ergebnis der Prüfung positiv aus, stellt der Prüfer das Produkt fertig. Ist die Prüfung dagegen nicht erfolgreich, setzt der Prüfende das Produkt erneut in Bearbeitung. Um das Produkt fertig zu stellen, muss es nach der Überarbeitung erneut vorgelegt und geprüft werden. Natürlich sind auch pragmatische Abweichungen von dieser Regelung denkbar, beispielsweise könnte der Prüfer nur kleinere Mängel feststellen, die der Bearbeiter im Anschluss behebt und das Produkt dann selbst fertig stellt.

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Abbildung 20: Produktzustandsautomat (für Produkte mit eigenständiger Qualitätssicherung)

Welche Produkte einer eigenständigen Qualitätssicherung bedürfen, legt das V-Modell nicht pauschal fest. Es ist vielmehr Aufgabe des QS-Verantwortlichen (Rolle QS-Verantwortlicher), dies im Thema Zu prüfende Produkte im QS-Handbuch projektspezifisch festzulegen. Gleichermaßen bestimmten die Architekten jeweils im Thema Zu prüfende Systemelemente in den Implementierungs-, Integrations- und Prüfkonzepten, welche Systemelemente nach diesem Schema eigenständig zu prüfen sind.

Der dargestellte Mechanismus hat zwei entscheidende Vorteile: Einerseits garantiert er, dass stets alle fertig gestellten Produkte zueinander konsistent sind, andererseits legt er klare Verantwortlichkeiten für die Aufrechterhaltung dieses Zustands fest. Der Nachteil besteht jedoch darin, dass er bei vielen bereits fertig gestellten Produkten einen enormen Prüfaufwand nach sich zieht: Zur Fertigstellung des 1001. Produkts müsste man es theoretisch mit den 1000 anderen, bereits fertig gestellten Produkten vergleichen. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar.

Um den erforderlichen Prüfaufwand zu begrenzen, definiert das V-Modell sogenannte inhaltliche Produktabhängigkeiten (siehe Kapitel Inhaltliche Produktabhängigkeiten), die die gegenseitige Abhängigkeit unterschiedlicher Produkte explizit aufzeigen. Beispielsweise weist der Standard darauf hin, dass die in der Risikoliste aufgeführten Risiken mit den Risiken im Thema Aktuelle Risiken und Risikomaßnahmen des Projektstatusberichts übereinstimmen müssen. Für die Prüfung eines Produkts reduzieren sich dann die Vergleiche auf ein handhabbares und sinnvolles Maß, da bei der Prüfung nur noch diejenigen bereits fertig gestellten Produkte betrachtet werden müssen, zu denen inhaltliche Abhängigkeiten existieren.

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass das V-Modell nur potenzielle Abhängigkeiten auf Ebene der Produkttypen definiert: Im Projekt muss jeweils ermittelt werden, welche konkreten Produktexemplare tatsächlich voneinander abhängig sind. Außerdem kann es natürlich immer noch zusätzliche inhaltliche Abhängigkeiten geben, die im V-Modell nicht gekennzeichnet sind und die dann ggf. bei der Prüfung zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Der Zustand, dass alle fertig gestellten Produkte konsistent sind, ist daher ein erstrebenswertes Ziel, das in der Praxis nur selten zu 100% erreicht werden kann. Jeder Schritt hin zu diesem Ziel ist aber ein Schritt in die richtige Richtung!