1 Teil 1: Grundlagen des V-Modells

1.3 Managementmechanismen und Projektdurchführung

1.3.13 AG/AN-Schnittstelle

Das V-Modell sieht vor, dass Behörden die Erstellung des Systems im Regelfall als Auftrag an die Industrie vergeben. In diesem Fall werden zwei eigenständige V-Modell-Projekte durchgeführt: ein Systementwicklungsprojekt (AG) in der Behörde sowie ein Systementwicklungsprojekt (AN) im Unternehmen. Ein Vertrag (z.B. ein Werkvertrag) verbindet die beiden Projekte und regelt das Zusammenspiel.

Die beiden Vertragsparteien haben prinzipiell unterschiedliche Interessen: Die Behörde will ein IT-System beschaffen und mit diesem ein fachliches Problem lösen. Die Vergabe muss nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen, die Behörde will also möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld. Auf der anderen Seite ist das Unternehmen als Spieler auf dem freien Markt gezwungen, wirtschaftlich zu handeln und einen Gewinn aus dem Projekt zu ziehen.

Diese gegensätzlichen Positionen machen eine stabile und präzise Vertragsgrundlage unerlässlich: Gibt es einen fairen Vertrag, der die Interessen beider Seiten zu gleichen Teilen berücksichtigt, dann stehen die Chancen gut, dass das Projekt harmonisch verläuft und erfolgreich abgeschlossen wird. Bis auf wenige Ausnahmen (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, siehe Konventionsabbildung UfAB V) hat die öffentliche Hand allerdings nach der Veröffentlichung der Vergabeunterlagen (Ausschreibung) nur noch wenige Möglichkeiten, den Vertragsinhalt zu beeinflussen, da der Vertrag ganz einfach als Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu Stande kommt. Die Behörde muss also in der Vorbereitung der Vergabe „ihre Hausaufgaben machen“ und dafür sorgen, dass die Angebotsinhalte ihren Bedürfnissen gerecht werden und dass die formalen Kriterien zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dann auch wirklich zur Wahl des „besten“ Angebots führen. Das V-Modell richtet sich in diesem Bereich nach der UfAB und fasst deren Inhalte überblicksartig zusammen. Die dazugehörige Konventionsabbildung zur UfAB V stellt die Zusammenhänge zwischen den beiden Standards im Detail dar.

Das V-Modell definiert neben den beiden Projekttypen auch die Schnittstelle zwischen Auftraggeber- und Auftragnehmer-Projekt, die in Abbildung 24 gezeigte AG/AN-Schnittstelle. Sie legt fest, wer wofür verantwortlich ist, wie sich der zeitliche Ablauf gestaltet und wie die erstellten Produkte inhaltlich zusammenhängen.

Der erste Kontakt zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer erfolgt über die Vergabeunterlagen (Ausschreibung), die im Thema Leistungsbeschreibung die vom Auftraggeber zu definierenden Anforderungen (Lastenheft) enthält. Darüber hinaus sind in dem Produkt bereits die Themen Vorgaben für das Projekthandbuch der Auftragnehmer und Vorgaben für das QS-Handbuch der Auftragnehmer enthalten Damit legt der Auftraggeber fest, wie das Zusammenspiel im Projekt und die Qualitätssicherung beim Auftragnehmer aussehen soll. Ebenfalls Teil der Leistungsbeschreibung ist der Teil 4: Gewichteter Kriterienkatalog, der die anderen drei Inhalte referenziert und Grundlage für die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots ist. Die Inhalte dieses Themas bestimmen die Angebotsinhalte und die Auswahl des Auftragnehmers und beeinflussen den weiteren Projektverlauf erheblich.

Auf der Basis der Ausschreibung entsteht im V-Modell-Projekt eines potenziellen Auftragnehmers (Bieter) ein Angebot. Dieses Angebot spiegelt die Leistungsbeschreibung wider und enthält Inhalte des Projekthandbuchs, des QS-Handbuchs und der Gesamtsystemspezifikation (Pflichtenheft) des Auftragnehmers. Da das Angebot (von AN) Grundlage des Vertrags ist, enthält es auch rechtliche und kommerzielle Vereinbarungen, die wiederum oft schon als Vertragliche Grundlage in den Vergabeunterlagen (Ausschreibung) vorgegeben sind.

Das V-Modell sieht vor, dass der Auftragnehmer ein Angebot erstellt. Je nach Vergabeverfahren ist es teilweise auch möglich, dass ein Bieter mehrere Angebote parallel (Hauptangebot und Nebenangebote) oder sequentiell (Nachbesserungen im Verhandlungsverfahren) abgibt.

Durch den Zuschlag auf ein Angebot entsteht zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ein Vertrag, der meist noch in Form einer gesonderten Vertragsurkunde formal unterzeichnet wird. Alles, was im weiteren Verlauf des Projekts an der AG/AN-Schnittstelle passiert, sollte im Vertrag und damit bereits in den Vergabeunterlagen (Ausschreibung) vorgesehen sein!

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Abbildung 24: Die Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer im Überblick

Der Auftragnehmer informiert den Auftraggeber regelmäßig durch Projektstatusberichte über Projektfortschritte, Projektplanungen, Projektsteuerungsmaßnahmen, Risiken, Ergebnisse der Qualitätssicherung und über Problem- und Änderungslisten. Die Projektdurchführungsstrategie sieht zu diesem Zweck auf der Auftraggeberseite den Entscheidungspunkt Projektfortschritt überprüft vor. Das V-Modell sieht ein iterativ-inkrementelles Vorgehen als Standard vor. Der Entwicklungszyklus wird hierbei vom Auftragnehmer mehrfach durchlaufen und mündet ggf. in die Lieferung eines Zwischen- oder Endprodukts an den Auftraggeber, der daraufhin im Entscheidungspunkt Abnahme erfolgt eine Abnahmeerklärung ausstellt. Diese ist dann in der Regel Grundlage von Zahlungen an den Auftragnehmer. Die Lieferungen umfassen immer auch Systemteile oder Systemprototypen, anhand derer der Auftraggeber die Abnahme ausspricht. Das bedeutet, dass eine alleinige Abnahme von Entwurfsdokumenten oder Spezifikationsdokumenten nicht zulässig ist, da der Auftraggeber im Allgemeinen nur anhand der gelieferten Software bzw. Hardware entscheiden kann, ob das umgesetzt wurde, was ursprünglich beabsichtigt war. Es empfiehlt sich, Prototypen immer auf einen speziellen Aspekt auszurichten und die Abnahme dann von der Erfüllung dieses Aspekts abhängig zu machen. Beispielsweise wäre ein Oberflächenprototyp, ein Prototyp zur Benutzerführung oder ein Prototyp zum Nachweis der Architekturkonformität denkbar. Welche Liefergegenstände wann geliefert werden und unter welchen Bedingungen sie abgenommen werden, ergibt sich aus den Themen Projektdurchführungsplan, Lieferumfang und Abnahmekriterien im Projekthandbuch und den Anforderungen (Lastenheft) des Auftraggebers.